OLG SCHLESWIG vom 12.06.2015, Az. 17 U 103/14
Was macht die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Thema Haftung und Beritt lesenswert? Die Entscheidung verdeutlicht, warum mit der Übernahme des Beritts eines Pferdes nicht per se über die Grundsätze des Handels auf eigene Gefahr eine Haftung des Halters des Pferdes aus § 833 BGB ausgeschlossen ist. Auch liefert die Entscheidung eine anschauliche Darstellung dazu, wann ein Bereiter als Tieraufseher bzw. Tierhüter i.S.d. § 834 BGB anzusehen ist.
Welche Feststellungen hat das Gericht getroffen? (a) Wer als selbstständiger Bereiter „Problempferde“ bereitet und hierbei einen Unfall erleidet, kann den Pferdehalter grundsätzlich auch dann aus Tierhalterhaftung nach § 833 BGB in Anspruch nehmen, wenn bei besonders problematischem Verhalten des Pferdes der Tierhalter ihm konkret das weitere Bereiten anheimgestellt hat. Denn allein hierdurch wird der Bereiter nicht aus dem Vertragsverhältnis zum Pferdehalter entlassen und handelt daher auch nicht „auf eigene Gefahr“. (b) Reitet der Bereiter in einer derartigen Situation dennoch und wird er vom Pferd abgeworfen, kann allerdings sein Schadensersatzanspruch in Anwendung des § 254 BGB (im konkreten Fall auf 50 %, da der Bereiter das Pferd am Unfalltag beritten hatte, obwohl dieses an diesem Tag erkennbar widerwillig war und der Bereiter von der Besitzerin explizit auf diesen Umstand hingewiesen worden war) zu kürzen sein.
Was war geschehen bzw. welcher Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde? Im Fall des OLG Schleswig war der Kläger der private Krankenversicherer eines als selbstständiger Bereiter und Reitlehrer tätigen Pferdefachwirtes. Dieser hatte mit der Beklagten Halterin des Pferdes einen Vertrag geschlossen, nach dem er das Pferd „S“ ausbilden und ihm vorhandene Unarten wie Schlagen, Buckeln und Steigen abgewöhnen sollte. Nachdem der Bereiter das Pferd bereits vier Monate ausgebildet und mit diesem auch an Turnieren teilgenommen hatte, sollte am Tag des Unfalls, eine weitere Unterrichtseinheit erfolgen. Die Beklagte longierte das Pferd vor dem Bereiten, wobei für diese und den Bereiter erkennbar war, dass das Pferd an diesem Tag wiederum bockte und stieg. Die Beklage bot dem Bereiter darauf an, das Pferd an diesem Tag nicht zu reiten oder es zunächst weiter zu longieren. Der Bereiter erklärte gegenüber der Beklagten jedoch, er müsse die Konfrontation mit dem Pferd eingehen, um den bisherigen Ausbildungserfolg nicht zu gefährden. Als der Bereiter das Pferd im Anschluss ritt, schlug es aus, buckelte und stieg über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten hinweg, bis es zum Abwurf kam. Der Bereiter schlug mit dem Kopf auf dem Hallenboden auf und zog sich Frakturen im HWS-Bereich zu, wodurch Heilbehandlungskosten i.H.v. EUR 76.521,84 entstanden sind.
Wie hat das Gericht seine Entscheidung begründet bzw. welche Feststellungen wurden im Einzelnen getroffen?
Aus den Gründen (abrufbar im Volltext unter r+s 2016, 98) mit Angabe der Leseziffern:
(16) 1. Die Bekl. hat für den Schaden in Form der entstandenen und künftig noch entstehenden Schäden aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung gem. § 833 BGB einzustehen. Dieser Anspruch ist gem. § 86 VVG auf die Kl. übergegangen. Die in § 833 BGB begründete Gefährdungshaftung des Tierhalters findet ihren Grund in dem unberechenbaren und selbstständigen Verhalten eines Tieres und der dadurch hervorgerufenen besonderen Gefährdung (BGH r+s 2014, 304 juris Rn. 5; BGH r+s 2006, 301, juris Rn. 7 mwN). Das plötzliche Buckeln und Hochgehen war ein solches, auf die unberechenbare Natur des Tieres zurückzuführendes, selbstständiges Verhalten des Pferdes S.
(17) a) Die Haftung der Bekl. ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen. Der VN hat sich zwar in Kenntnis der Unarten des Pferdes und des Umstandes, dass das Pferd am 30. 1. 2012 erkennbar unwillig und die Gefahr eines Abwurfs nicht fernliegend war, dazu entschlossen das Pferd zu bereiten. Dennoch kommt ein Haftungsausschluss unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nicht in Betracht.
(18) Grundlage eines solchen Haftungsausschlusses ist der Grundsatz von Treu und Glauben und das sich hieraus ergebende Verbot widersprüchlichen Verhaltens (BGH r+s 2006, 301. Nach der Rspr. des BGH wird im Rahmen der Tierhalterhaftung eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anerkannt. Der Umstand, dass sich ein Geschädigter der Gefahr eines Tieres selbst ausgesetzt hat, ist regelmäßig erst bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 254 BGB zu berücksichtigen (BGH r+s 2014, 304 juris Rn. 7; BGH r+s 2009, 295; BGH r+s 2006, 301. Bei Personen, die sich – wie hier der VN – aus beruflichen Gründen der Tiergefahr aussetzen, ist ein vollständiger Haftungsausschluss sowohl in Hinblick auf den Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr als auch unter Schutzzweckerwägungen abzulehnen (BGH r+s 2014, 304, juris Rn. 9). Von einem Handeln auf eigene Gefahr im Rechtssinne kann nur dann die Rede sein, wenn sich jemand in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl er die besonderen Umstände kennt, die für ihn eine konkrete Gefahrenlage begründen, ohne dass dafür ein triftiger – rechtlicher, beruflicher oder sittlicher – Grund vorliegt (BGH r+s 2009, 395, juris Rn. 9). Realisiert sich das mit der Berufsausübung eines Geschädigten notwendigerweise verbundene Risiko, so erweist sich eine Inanspruchnahme des Tierhalters nicht als widersprüchlich.
(18) So liegt es hier. Der VN wurde als Reitlehrer und Bereiter damit beauftragt das Pferd zuzureiten. Aufgrund seiner vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Bekl. bestand ein triftiger Grund das Pferd an dem Unfalltag zu bereiten und sich hierzu in den Gefahrenkreis des Tieres zu begeben. Der VN handelte somit nicht auf eigene Gefahr, sondern in Erfüllung seiner, der Tierhalterin gegenüber eingegangen vertraglichen Verpflichtung.
(20) Dass die Bekl. dem VN im vorliegenden Fall angeboten hatte, die Unterrichtsstunde auf einen anderen Tag zu verlegen, ändert hieran nichts. Hierdurch wurde der VN nicht aus seinem Vertragsverhältnis entlassen oder der Vertragszweck als solcher verändert. Der VN sah sich in dieser Situation – aus seiner Sicht – mit der Entscheidung konfrontiert, seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Bekl. zu erfüllen und seine Gesundheit einem aufgrund des damaligen Verhaltens des Pferdes erhöhten Risiko auszusetzen oder durch Abstandnahme von einem Beritt den Vertragszweck zu gefährden. Nachdem sich der VN in dieser Situation für die Erfüllung seiner Vertragspflichten entschieden hat, ist es nicht als treuwidrig anzusehen, wenn nunmehr die Kl. aus übergegangenem Recht gegen die Bekl. Ansprüche wegen der Folgen des Abwurfs geltend macht. Wenn sich die Bekl. ihrer Tierhalterhaftung in der damaligen Situation hätte entziehen wollen, hätte sie den VN anweisen müssen, das Pferd nicht zu bereiten, so dass der Inhalt des Vertragsverhältnisses verändert worden wäre. Den Zuritt des Tieres an diesem Tag in das fachmännische Ermessen des VN zu stellen, war hierfür nicht ausreichend.
(21) b) Der grundsätzlichen Tierhalterhaftung der Bekl. steht auch nicht entgegen, dass der VN das Pferd zum Unfallzeitpunkt selbst geritten hat noch, dass er von der Bekl. damit beauftragt wurde, das Pferd zu bereiten. Der VN könnte damit zwar als Tieraufseher iSv. § 834 BGB anzusehen sein (vgl. unter II. 2 b). Die Haftung des Tierhalters nach § 833 BGB greift grundsätzlich aber auch dann ein, wenn der Tieraufseher im Rahmen seiner Aufsichtsführung durch das betreute Tier verletzt wird (BGH r+s 2014, 304, juris Rn. 6).
(22) c) Die Haftung der Bekl. war auch nicht durch einen stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses abbedungen. Abgesehen von der erkennbaren Gefahrträchtigkeit der übernommenen Tätigkeit gab es keine weiteren Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf einen entspr. Willen der Parteien zulassen würden. Die bloße Gefahrträchtigkeit der Tätigkeit genügt aber nicht für die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses. Darüber hinaus entspricht es auch nicht der Interessenlage der Parteien, dass derjenige, der sich im Interesse seines Auftraggebers der mit seinem Beruf notwendig einhergehenden Tiergefahr aussetzt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, den Tierhalter vollständig von dessen gesetzlicher Haftung entbindet. Dies gilt insbes. unter Berücksichtigung, dass hinter der Bekl. eine Versicherung steht. Ein Haftungsverzicht, der lediglich den Versicherer entlasten würde, entspricht idR nicht dem Willen der Parteien und ihrem wohlverstandenen Interesse (BGH r+s 1992, 373, juris Rn. 14).
(23) 2. Die Tierhalterhaftung der Bekl. aus § 833 BGB ist allerdings in Anwendung des § 254 BGB einzuschränken, weil den VN der Kl. bei der Entstehung des Schadens ein eigener Verursachungsbeitrag traf, der mit 50 % zu bewerten ist.
(24) a) Ein Mitverschulden des VN ist allerdings nicht bereits darin zu sehen, dass er die Aufgabe des Zureitens und damit eine besonders gefahrgeneigte Tätigkeit übernommen hat.
(25) Im Rahmen von § 254 BGB kann lediglich vorwerfbares bzw. unsachgemäßes Verhalten anspruchsmindernd in Ansatz gebracht werden (vgl. auch BGH r+s 1992, 373; BGH r+s 2009, 395, juris Rn. 15). Ein Verhalten ist dabei nur dann als vorwerfbar anzusehen, wenn sich ein Arbeitnehmer aus freier Willensentschließung in eine Gefahrenlage begeben hat, diese Gefahrenlage aber ebenso hätte meiden können (OLG Hamburg, VersR 1965, 1009; vgl. auch OLG Naumburg, VersR 2008, 704).
(26) Mit der Übernahme einer bestimmten Tätigkeit geht das Risiko einher, bestimmte Verletzungen zu erleiden. Hierfür hat der Auftraggeber idR nur einzustehen, wenn ihn seinerseits ein Verschulden trifft, so dass es interessengerecht ist, dem Auftragnehmer nicht gleichzeitig die Gefahrträchtigkeit der von ihm übernommenen Handlung entgegenzuhalten. Sofern der Auftraggeber – wie hier die Bekl. – ein Tierhalter ist, trifft diesen zwar unabhängig von eigenem Fehlverhalten eine Einstandspflicht für etwaige Schäden, die der vom ihm Beauftragte im Zusammenhang mit der Arbeit an bzw. mit dem Tier erleidet. Aus dem Gesetz lassen sich aber keine Anhaltspunkte ableiten, in diesem Fall ausnahmsweise das Berufsrisiko des Auftragnehmers im Rahmen eines etwaigen Mitverschuldens zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass der Auftraggeber einer verschärften Haftung unterliegt, kann nicht dazu führen, das mit der Übernahme einer Tätigkeit verbundene Risiko der eigenen Verletzung anders zu bewerten und hierin bereits ein Mitverschulden zu sehen.
(27) b) Auch die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des VN als Tierhüter an dem Abwurf selbst kommt nicht in Betracht. Grundsätzlich gilt allerdings, dass ein Tieraufseher, der sich wegen der eigenen Schädigung an den Tierhalter hält, im Rahmen des Mitverschuldens auch die Vermutung des eigenen Verschuldens nach § 834 Satz 1 BGB gegen sich gelten lassen muss (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 833 Rn. 21).
(28) Tierhüter ist derjenige, der durch Vertrag jedenfalls als Nebenpflicht die Führung der Aufsicht über das Tier für den Tierhalter und damit die Sorge übernommen hat, dass kein Dritter durch das Tier geschädigt wird (Wagner in MüKo/BGB, 6. Aufl., § 834 Rn. 3; Palandt/Sprau, aaO, § 834 Rn. 2). Bei Zugrundelegung einer eher formalen räumlichen Betrachtungsweise liegt es nahe, den VN nicht als Tierhüter anzusehen. Denn die Bekl. als Tierhalterin war unstreitig während der gesamten Unterrichtsstunde anwesend, so dass sich das Pferd damit noch in ihrem räumlichen Einflussbereich befand. Legt man hingegen eine eher funktionale Betrachtungsweise zugrunde, erscheint es näherliegend, den VN trotz der Anwesenheit der Bekl. als Tierhüter anzusehen. Denn zum Zeitpunkt des Abwurfs hatte der VN die alleinige Einflussmöglichkeit auf das Pferd und aufgrund seines überlegenen Wissens in Bezug auf Pferde hätte für die Bekl. auch kein Anlass bestanden, dem VN bei Problemen zu Hilfe zu kommen. Vielmehr hatte sie ihn gerade wegen ihrer Probleme mit dem Pferd beauftragt, diesem die Unarten abzugewöhnen.
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