OLG NÜRNBERG vom 29.03.2017, Az.: 4 U 1162/13
Welche Feststellungen hat das Gericht getroffen? (a) Die Vereinbarung einer Reitbeteiligung zwischen Pferdehalterin und Reiterin, die es der Reiterin erlaubt, gegen Zahlung eines regelmäßigen Entgelts und Unterstützung im Stall an bestimmten Tagen selbstständige Ausritte mit dem Pferd machen zu dürfen, begründet keine Mithaltereigenschaft der Reiterin. (b) Eine solche Reitbeteiligung rechtfertigt auch dann nicht ohne weiteres die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses, wenn Unfälle im Rahmen einer Reitbeteiligung vom Versicherungsschutz der Pferdehalterin ausgenommen sind. (c) Stürzt die Reiterin bei einem selbstständigen Ausritt und kann diese sich nicht entlasten, ist bei der Prüfung der Ersatzansprüche gegen die Pferdehalterin ein vermutetes Mitverschulden der Reiterin als Tieraufseherin anspruchsmindernd zu berücksichtigen. (d) Bei Unaufklärbarkeit der näheren Umstände des Sturzes können die Haftungsanteile der Halterin und der Reiterin gleich hoch, also 50:50, zu bewerten sein.
Was war geschehen bzw. welcher Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde? Im streitgegenständlichen Fall wünschte die Klägerin als gesetzliche Krankenversicherung einer Reiterin vom Gericht die Feststellung des Bestehens von Schadensersatzansprüchen ihres Mitglieds aufgrund eines Reitunfalls. Zwischen der Reiterin und der beklagten Eigentümerin des Pferdes bestand dabei eine Vereinbarung dahingehend, dass die Reiterin das Pferd an 3 Tagen die Woche nach Belieben ausreiten durfte und hierfür monatlich EUR 100 zu zahlen hatte. Kurzum: es wurde eine Reitbeteiligung vereinbart. Sodann kam es zum worst case-Szenario: die Reitbeteiligung stürzte bei einem Ausritt auf der Koppel vom Pferd und erlitt eine Querschnittslähmung. Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Nürnberg-Fürth (Urteil vom 12.4.2013, Az.: 12 O 7714/12) hatte die Klage abgewiesen. Die Berufung der klagenden Krankenversicherung dagegen hatte jedoch (zumindest) teilweise Erfolg.
Wie hat das Gericht seine Entscheidung begründet bzw. welche Feststellungen wurden im Einzelnen getroffen?
Aus den Gründen (m. Leseziffern; mitgeteilt von der 4. Zivilkammer des OLG Nürnberg; veröffentlicht in NJW-RR 2017, 1173):
„16 B. Die Bekl. hat der Kl. aus übergegangenem Recht 50 % des Schadens und Aufwands zu ersetzen, der in der Kranken- und Pflegeversicherung aus dem Reitunfall vom 8.10.2009 der H entsteht und entstanden ist.
17 I. Die Feststellungsklage ist zulässig. Prozessvoraussetzung einer Feststellungsklage ist neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen das schutzwürdige Interesse der Klagepartei an alsbaldiger Feststellung des Bestehens des behaupteten Rechtsverhältnisses, § 256 ZPO. Im vorliegenden Fall hat die Kl. in der Vergangenheit für ihr bei dem Reitunfall verletztes Mitglied H bereits Leistungen in einem Umfang erbracht, den sie bis zur Klageeinreichung mit 129.177,83 Euro beziffert. Da die Geschädigte bei dem Reitunfall eine Querschnittslähmung erlitten hat, ist auch in Zukunft mit Leistungen der Kl. für die Geschädigte in erheblichem Umfang zu rechnen. Es ist deshalb nicht möglich, den Schaden abschließend zu beziffern.
18 II. Die Bekl. hat als Halterin des Pferds S gem. § 833 S. 1 BGB den durch ihr Pferd verursachten Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist und noch entstehen wird, dass die Geschädigte am 8.10.2009 beim Reiten verunfallt ist und hierbei eine Querschnittslähmung erlitten hat. Die Haftung der Bekl. ist weder durch eine freiwillige Risikoübernahme der Geschädigten noch durch einen ausdrücklichen oder konkludenten Haftungsausschluss beschränkt oder ausgeschlossen. Der Umfang der Haftung ist jedoch auf die Erstattung der Hälfte der berechtigten Ansprüche reduziert, da es der Kl. nicht gelungen ist, die zulasten der Geschädigten als Tieraufseherin gem. § 834 S. 1 BGB sprechende Vermutung einer Pflichtverletzung und ihrer Ursächlichkeit für den Schaden zu entkräften. Die Abwägung der beiderseitigen Haftungsanteile in entsprechender Anwendung des § 254 BGB führt hier dazu, dass die Bekl. die Hälfte des Schadens zu tragen hat. Die in der Person der Geschädigten entstandenen Ansprüche sind gem. § 116 I 1 SGB X auf die Kl. übergegangen.
19 1. Die Kl. ist für die Geltendmachung des Feststellungsanspruchs aktivlegitimiert. Die Schadensersatzansprüche der Geschädigten aus dem Reitunfall sind gem. § 116 I SGB X auf die Kl. als gesetzliche Krankenversicherung übergegangen.
20 2. Die Bekl. war Halterin des Pferds S. Das Pferd war nicht dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt der Bekl. zu dienen bestimmt. Die Bekl. hat deshalb nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung gem. § 833 S. 1 BGB für den Schaden einzustehen, der durch das Pferd verursacht worden ist. Die Haftung des Pferdehalters aus § 833 I BGB gilt grundsätzlich auch zugunsten des Reiters, der durch die Tiergefahr des Pferds verletzt wird (stRspr, vgl. BGH, NJW 1977, 2158; NJW 1993, 2611; NJW 2013, 2661).
21 3. Die Geschädigte, die mit der Bekl. vereinbart hatte, das Pferd an einzelnen Tagen gegen Zahlung von monatlich 100 Euro selbstständig reiten zu dürfen, wurde hierdurch nicht zur (Mit-)Halterin des Pferds.
22 Die Vereinbarung einer derartigen „Reitbeteiligung“ ändert nichts an der Haltereigenschaft der Bekl. und begründet ebenso wie der Reitvorgang als solcher keine (Mit-)Haltereigenschaft der Geschädigten (vgl. OLG Schleswig, Urt. v. 21.6.2007 – 7 U 50/06, BeckRS 2008, 02817; OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2009, 894). Auch unter Zugrundelegung der eigenen Angaben der Bekl. zu den Einzelheiten der Vereinbarung, wonach die Geschädigte neben Zahlung des Entgelts an den Reittagen das Pferd auch füttern und den Stall ausmisten sollte, behielt die Bekl. auch an den Reittagen der Geschädigten das Bestimmungsrecht über das Tier. Die Bekl. gab vor, auf welchen Flächen die Geschädigte das Pferd reiten durfte und untersagte der Geschädigten, andere Personen auf dem Pferd reiten zu lassen. Die Stallkosten, die Pacht für die Koppel sowie die Kosten für Futter, Tierarzt und Versicherung wurden alleine von der Bekl. getragen. Das von der Geschädigten an die Bekl. zu zahlende Entgelt deckte nur einen geringen Teil der laufenden Kosten ab. An unvorhergesehenen Ausgaben, etwa im Falle einer Verletzung oder Krankheit des Tiers, war die Geschädigte ohnehin nicht beteiligt.
23 4. In dem Unfallgeschehen hat sich die spezifische Tiergefahr des Pferds verwirklicht.
24 Aufgrund der glaubhaften Angaben der Geschädigten zum Unfallhergang ist das Pferd beim Reiten auf der Koppel durchgegangen, nachdem die Geschädigte bereits eine gewisse Zeit in den Gangarten Schritt, Trab und Galopp geritten war. Aus der Lage der Zügel, die sich nach dem Sturz der Geschädigten über dem Kopf des Pferds befanden, kann geschlossen werden, dass die Geschädigte über den Kopf des Tiers gestürzt ist beziehungsweise abgeworfen wurde. Eine genauere Aufklärung des Unfallhergangs ist nicht mehr möglich, da die Geschädigte selbst nur noch lückenhafte Erinnerungen hat und weder der Zeuge H noch die Bekl. den Sturz beobachtet haben. Es bleibt daher auch unaufklärbar, aus welchem Grund das Pferd plötzlich losgerannt ist.
25 Der Grund für die strenge Tierhalterhaftung liegt jedoch gerade in der typischen Tiergefahr, das heißt in dem der Natur des Tiers entsprechenden unberechenbaren selbstständigen Verhalten und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Rechtsgütern Dritter (BGH, NJW 2014, 2434). Dadurch, dass das Pferd aus Sicht der Geschädigten ohne erkennbaren Grund durchgegangen und plötzlich losgerannt ist, entstand für die Geschädigte aus dem Verhalten des Tiers eine schwer beherrschbare Gefahr, die sich schließlich in dem Sturz vom Pferd verwirklichte. Dabei kann es letztlich dahinstehen, ob sich die Geschädigte allein wegen des plötzlichen Loslaufens des Pferds nicht mehr im Sattel halten konnte oder ob das Pferd zusätzlich abrupt gestoppt oder sogar hinten hoch gegangen ist. Die typische Tiergefahr hat sich in jedem Fall verwirklicht. Anhaltspunkte für den von der Bekl. für möglich gehaltenen Unfallhergang, wonach das Pferd auf der Koppel stand, Gras fressen wollte und den Kopf gesenkt hat und die Geschädigte dabei vom Pferd gefallen sei, sind in der Beweisaufnahme nicht zutage getreten. Die Geschädigte als einzige Zeugin des Unfalls konnte diesen Hergang ausschließen.
26 Selbst ein denkbarer Reitfehler der Geschädigten, der zu dem plötzlichen Losrennen des Pferds oder zu dessen abruptem Stehenbleiben geführt haben könnte, würde nichts an der Verwirklichung der spezifischen Tiergefahr ändern und kann nur bei der Prüfung des Mitverschuldens des Reiters zu berücksichtigen sein (BGH, NJW 1999, 3119).
27 5. Die Haftung der Bekl. ist weder durch eine freiwillige Risikoübernahme der Geschädigten noch durch einen ausdrücklichen oder konkludent vereinbarten Haftungsausschluss beschränkt oder ausgeschlossen.
28 a) Unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr oder der freiwilligen Risikoübernahme kann die Haftung des Pferdehalters dann entfallen, wenn sich der Geschädigte bewusst einer besonderen Gefahr aussetzt, die über die normalerweise mit dem Reiten verbundene Gefahr hinausgeht (BGH, NJW 1992, 2474; NJW-RR 2006, 813; NJW 2013, 2661; OLG Hamm, NJW-RR 2001, 390). Derartigen, über die gewöhnliche Reitgefahr hinausgehenden Risiken (zB beim Zureiten, Dressur- oder Springreiten) hat sich die Geschädigte hier nicht ausgesetzt. Dass das Pferd nach den Bekundungen der Zeugin bereits früher einmal durchgegangen war, begründet kein besonderes, ungewöhnliches Risiko, zumal es der Geschädigten damals gelungen war, gefahrlos mit der Situation umzugehen. Eine besondere, über die gewöhnliche Tiergefahr eines Reitpferds hinausgehende Gefährlichkeit des Pferds S wird auch von der Bekl. nicht vorgetragen.
29 b) Die Bekl. hatte mit der Geschädigten keinen Haftungsausschluss vereinbart. Die Vereinbarung eines ausdrücklichen Haftungsausschlusses wird nicht behauptet. Auch die Annahme eines konkludenten Haftungsausschlusses ist bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände des vorliegenden Falls und der Interessenlage der Bet. nicht gerechtfertigt.
30 Wegen der weitreichenden Konsequenzen kann von einem stillschweigenden Haftungsausschluss zwischen Pferdehalter und Reiter nur im Ausnahmefall ausgegangen werden. Die Qualifizierung der Überlassung des Pferds zum selbstständigen Reiten als „Reitbeteiligung“ rechtfertigt für sich genommen ebenso wenig die Annahme einer Haftungsfreistellung wie der Umstand, dass die Überlassung auch Elemente einer Gefälligkeit aufwies.
31 Die Vereinbarung einer Reitbeteiligung oder die Überlassung des Pferds gefälligkeitshalber rechtfertigt im Wege ergänzender Vertragsauslegung auf der Grundlage von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nur dann eine Haftungsfreistellung des Tierhalters, wenn die Überlassung des Tiers im besonderen Interesse des Geschädigten lag und dieser sich deshalb einem ausdrücklichen Ansinnen eines Haftungsverzichts, wäre es an ihn gestellt worden, billigerweise nicht hätte verschließen können (BGH, NJW 1992, 2474 mwN; NJW-RR 2017, 272 = r + s 2016, 424; OLG Schleswig, Urt. v. 29.2.2012 – 7 U 115/11, BeckRS 2013, 02597). Bei den hierbei anzustellenden Billigkeitserwägungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Pferdehalter gegen Haftpflicht versichert ist, denn eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherer entlastet, entspricht in der Regel nicht dem Willen der Bet. (BGH, NJW-RR 2017, 272 = NZM 2017, 303 = r + s 2016, 424).
32 Aufgrund der Angaben der informatorisch angehörten Bekl. und der als Zeugin vernommenen Geschädigten geht der Senat vorliegend davon aus, dass die Bekl. als Halterin des Pferds S mit der Geschädigten vereinbart hatte, dass diese jede Woche an einzelnen, jeweils zu vereinbarenden Tagen selbstständig das Pferd reiten durfte und hierfür nach Angaben der Geschädigten monatlich 100 Euro an die Bekl. bezahlen und bei Bedarf den Stall ausmisten sollte. Nach ihren eigenen Angaben war es der Bekl., die sich selbst nicht täglich um das Pferd kümmern konnte, vor allem wichtig, dass ihr Pferd an den vereinbarten Tagen bewegt und versorgt wird. Die Reitbeteiligung bestand seit Juli 2009, also seit circa dreieinhalb Monaten vor dem Unfall und kam dadurch zustande, dass die Bekl. ein entsprechendes Inserat in der Zeitung aufgegeben hatte. Die Bekl. hatte zur Deckung ihrer Haftpflicht als Pferdehalterin eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen. Nach den dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden allgemeinen Versicherungsbedingungen war der Versicherungsschutz jedoch für die entgeltliche Überlassung des Pferds im Rahmen einer Reitbeteiligung ausgeschlossen. Über Versicherungsfragen wurde zwischen der Bekl. und der Geschädigten vor dem Unfall nicht gesprochen. Die Bekl. selbst ging auch nach dem Unfall davon aus, dass dieser von der abgeschlossenen Haftpflichtversicherung umfasst sei. Tatsächlich hat jedoch die Haftpflichtversicherung unter Berufung auf den vereinbarten Ausschluss für entgeltliche Reitbeteiligungen die Erfüllung von Ansprüchen der Geschädigten endgültig abgelehnt.
33 Anders als in der Fallgestaltung, die dem Urteil des OLG Nürnberg vom 27.6.2011 (MDR 2011, 1037 = BeckRS 2011, 19752) zugrunde lag, bestand vorliegend keine langjährige Reitbeteiligung im überwiegenden Interesse der Geschädigten mit untergeordneter Zahlungsverpflichtung der Geschädigten. Die Initiative für die Reitbeteiligung ging von der Bekl. aus, die sich selbst nicht ausreichend um ihr Pferd kümmern und dieses bewegen konnte und die sich hierfür die Unterstützung der Geschädigten versprach. Die Reitbeteiligung bestand vor dem Unfall erst seit circa dreieinhalb Monaten, das von der Geschädigten zu zahlende Entgelt von 100 Euro monatlich war nicht unbedeutend, insbesondere im Hinblick darauf, dass die Geschädigte nach Angaben der Bekl. damals arbeitslos gewesen ist.
34 Wäre die Haftungsthematik zwischen den Bet. vor dem Unfall ausdrücklich zur Sprache gekommen, kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Bekl., die ja selbst davon ausgegangen war, dass die von ihr abgeschlossene Haftpflichtversicherung etwaige Reitunfälle der Geschädigten umfassen würde, der Geschädigten einen Haftungsverzicht angesonnen hätte. Umgekehrt hätte auch die Geschädigte in diesem Fall aller Voraussicht nach auf einen Hinweis der Bekl. auf die bestehende Haftpflichtversicherung vertraut und hätte keine Motivation für einen Haftungsverzicht gehabt.
35 Doch selbst dann, wenn die Bekl. vor Abschluss der Vereinbarungen mit der Geschädigten zutreffend erkannt hätte, dass eine entgeltliche Reitbeteiligung vom Versicherungsschutz ihrer Haftpflichtversicherung nicht umfasst ist und sie dies der Geschädigten offengelegt hätte, hätte die Vereinbarung eines Haftungsausschlusses eher fern gelegen. Näherliegender wäre es gewesen, den Versicherungsschutz um den „Baustein Reitbeteiligung“ zu erweitern, was nach der Mitteilung der Haftpflichtversicherung vom 27.10.2010 jederzeit möglich gewesen wäre. Der Abschluss der Pferdehalterhaftpflichtversicherung zeigt ja gerade, dass die Bekl. daran interessiert war, für die von ihrem Pferd verursachten Schäden Versicherungsschutz zu erlangen. Anhaltspunkte dafür, dass sie bei zutreffender rechtlicher Beurteilung gerade die Schäden ausnehmen hätte wollen, die der Geschädigten bei dem (auch) im Interesse der Bekl. liegenden Umgang mit dem Pferd entstehen könnten, sind nicht ersichtlich.
36 Noch weniger spricht für die Annahme, die Geschädigte, die regelmäßige Entgeltzahlungen an die Bekl. leistete, hätte sich auf ein derartiges Ansinnen eingelassen. Aus Billigkeitsgründen wäre sie dazu jedenfalls nicht gehalten gewesen.
37 6. Der Bekl. kommt auch nicht das Haftungsprivileg des § 104 I SGB VII zugute. Der streitgegenständliche Reitunfall war kein Arbeitsunfall iSv § 8 SGB VII. Die B-Unfallkasse hat als zuständige Berufsgenossenschaft mit rechtskräftigem Bescheid vom 2.5.2016 festgestellt, dass es sich bei der Geschädigten nicht um eine „Wie-Beschäftigte“ iSv § 2 II 1 SGB VII handelte und dass deshalb kein Arbeitsunfall vorlag. Der Bescheid wurde gegenüber der Geschädigten, der Kl. und der Bekl. bestandskräftig. An diese Entscheidung sind die Zivilgerichte gem. § 108 I SGB VII gebunden (vgl. auch BGH, NJW 2013, 2031).
38 7. Die Haftung der Bekl. ist jedoch aufgrund eines anrechenbaren Mitverschuldens der Geschädigten an dem Reitunfall auf 50 % beschränkt, § 834 S. 1 BGB in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 254 I BGB.
39 a) Die Geschädigte war im Moment des Unfalls Tieraufseherin iSd § 834 S. 1 BGB. An den vereinbarten Reittagen durfte die Geschädigte selbstständig mit dem Pferd S auf der Koppel reiten. Sie kümmerte sich an diesen Tagen auch sonst um das Pferd, gab ihm „Leckerli“ und mistete bei Bedarf den Stall aus. An den Reittagen der Geschädigten war die berufstätige Bekl. absprachegemäß nicht anwesend, hätte also dann, wenn es dem Pferd beispielsweise gelungen wäre, aus der Koppel auszubrechen, keine Möglichkeit gehabt, auf das Pferd einzuwirken. Wie die Bekl. glaubhaft angab, bestand ihr Interesse an der Vereinbarung neben der Kostenbeteiligung der Geschädigten vor allem auch darin, dass sich jemand an den betreffenden Tagen um das Tier kümmert. Diese Aufgabe hat die Geschädigte übernommen und wurde dadurch an ihren Reittagen zur Tieraufseherin (vgl. auch OLG Saarbrücken, NJW-RR 1988, 1492; OLG Schleswig, Urt. v. 21.6.2007 – 7 U 50/06, BeckRS 2008, 02817).
40 b) Als Tieraufseherin ist auch die Geschädigte gem. § 834 S. 1 BGB für den auf die Tiergefahr des Pferds zurückzuführenden Schaden verantwortlich. Danach muss derjenige, der die Obhut über ein Tier übernommen hat, die Vermutung gegen sich gelten lassen, dass ihn ein Sorgfaltsverstoß trifft und dieser für den Schaden ursächlich geworden ist. Diese Beweislastregel gilt zur Begrenzung der Tierhalterhaftung der Bekl. auch bei der Prüfung des Mitverschuldens der Geschädigten als Reiterin (vgl. BGH, NJW 1992, 2474; NJW 1993, 2611; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2009, 453).
41 Im vorliegenden Fall ist es der Geschädigten nicht gelungen, die gegen sie sprechende Vermutung zu widerlegen. Der genaue Unfallhergang war nicht mehr aufzuklären. Die als Zeugin vernommene Geschädigte konnte sich nur noch daran erinnern, dass das Pferd durchgegangen, also plötzlich losgerannt ist und dass sie nach dem Sturz am Boden lag und die Zügel über dem Kopf des Pferds hingen. Ursachen dafür, weshalb das Pferd plötzlich losgerannt ist und weshalb es ihr – anders als bei einem wohl ähnlichen Vorfall in der Vergangenheit – diesmal nicht gelungen ist, das Pferd zu zügeln und sich im Sattel zu halten, vermochte auch die Geschädigte nicht zu nennen. Die Unaufklärbarkeit des Reitunfalls führt gem. § 834 S. 1 BGB in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung des § 254 I BGB hier dazu, dass das vermutete (Mit-)Verschulden der Geschädigten anspruchsmindernd zu berücksichtigen ist (vgl. BGH, NJW 1992, 2474; NJW 2014, 2434 = VersR 2014, 640; OLG Hamm, VersR 1975, 865 = BeckRS 1974, 00536).
42 c) Der Senat erachtet die anrechenbaren (Mit-)Haftungsanteile der Bekl. als Pferdehalterin und der Geschädigten als Reiterin und Aufseherin des Pferds als gleich hoch. Die durchgeführte Beweisaufnahme zum Hergang des Unfalls hat keine tatsächlichen Hinweise für ein subjektiv vorwerfbares Fehlverhalten der Bekl. oder der Geschädigten zutage gebracht. Die Eintrittspflicht der Bekl. resultiert somit einzig aus der gesetzlichen Gefährdungshaftung als Tierhalterin gem. § 833 S. 1 BGB. Andererseits beruht auch die Mithaftung der Geschädigten lediglich darauf, dass es ihr nicht gelungen ist, die in § 834 S. 1 BGB normierte Vermutung einer Pflichtverletzung und ihrer Kausalität für den Unfall zu widerlegen. Die in entsprechender Anwendung des § 254 I BGB anzustellende Abwägung der Verursachungsanteile führt hier dazu, dass die Haftung der Bekl. auf 50 % beschränkt ist (so in ähnlichen Fällen auch OLG Frankfurt a. M., r + s 1996, 137 und LG Bonn, Anerkenntnisurt. v. 21.10.2011 – 3 O 272/06, BeckRS 2013, 06187; vgl. auch BGH, NJW 1993, 2611).
43 Die Mithaftung der Geschädigten muss sich die Kl. im Rahmen der auf sie gem. § 116 SGB X übergegangenen Ansprüche anspruchsmindernd zurechnen lassen.
44 8. Eine darüber hinausgehende Mithaftung der Geschädigten folgt nicht aus dem Umstand, dass sie zum Zeitpunkt des Unfalls keinen Rückenprotektor getragen hat. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme ist der Senat davon überzeugt, dass bei der Geschädigten eine „Glasknochenkrankheit“ oder eine ähnliche (von der Bekl. vermutete) medizinische Vorbelastung nicht vorgelegen hat. Die Geschädigte hat als Zeugin angegeben, definitiv weder damals noch heute an der Glasknochenkrankheit gelitten zu haben oder zu leiden. Lediglich bei ihrem Bruder sei eine leichte Form der Erkrankung festgestellt worden, worüber sie sich damals mit der Bekl. unterhalten habe. Auch die im beigezogenen Parallelverfahren (LG Nürnberg-Fürth, Az. 12 O 9015/11) vorgelegten Arztbriefe zu den Unfallverletzungen der Geschädigten geben keinerlei Hinweise auf eine bestehende Vorerkrankung. Dass die damals gesunde, 28-jährige Geschädigte beim Reiten auf der Koppel keinen Rückenprotektor getragen hat, hat somit keinen Einfluss auf die Haftungsquote.
45 Jedenfalls beim normalen Reiten auf der Koppel (anders mag es beispielsweise sein bei einer Fuchsjagd im Gelände oder Ähnliches) auf einem vertrauten Pferd besteht keine allgemeine Pflicht oder Obliegenheit, besondere Schutzkleidung, insbesondere einen Rückenprotektor, zu tragen. Spezielle Absprachen diesbezüglich werden auch von der Bekl. nicht behauptet.“
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