Zur Haftung des Tierhalters als Beteiligter bei Schädigung durch mehrere Pferde – Wann realisiert sich die Tiergefahr?

BGH vom 24.04.2018, Az.: VI ZR 25/17

Was macht die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Thema Tierhalterhaftung lesenswert? Der BGH hat klargestellt, dass es für die Annahme einer Haftung des Halters eines Pferdes nach § 833 BGB nicht genügt, dass sein Pferd „irgendwie dabei bzw. auf der Koppel/Weide anwesend“ war, sondern dieses nachweislich einen „aktiven Beitrag“ geleistet haben muss (siehe unten Rdn. 13). Der BGH hat in seiner Entscheidung daher die Klage gegen die Pferdehalterin abweisen müssen, weil eben nach den Feststellungen zum Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden konnte, dass das Pferd der Beklagten zum Zeitpunkt des Schadenseintritts ganz unbeteiligt abseits stand.

Welche Feststellungen hat das Gericht getroffen? (a) Der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist nicht auf die Verschuldenshaftung beschränkt, sondern erfasst auch die Gefährdungshaftung, insbesondere die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB. (b) „Beteiligter“ i.S.d. § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB ist nur derjenige, dessen Tatbeitrag zu einer rechtswidrigen Gefährdung der Schutzsphäre des Betroffenen geführt hat und zur Herbeiführung der eingetretenen Verletzung geeignet war. Im Fall der Gefährdungshaftung bedarf es hierzu einer konkreten Gefährdung des Betroffenen, die geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen. (c) Im Fall der Tierhalterhaftung nach § 833 Satz 1 BGB ist für die Anwendung von § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB Voraussetzung, dass sich in dem Verhalten aller als Schadensverursacher infrage kommenden Tiere (im konkreten Fall Pferde)  eine spezifische Tiergefahr gezeigt hat und dass diese spezifische Tiergefahr im Hinblick auf den eingetretenen Schaden kausalitätsgeeignet war.

Was war geschehen bzw. welcher Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde? Die Klägerin war Halterin einer Stute, die Beklagte Halterin eines anderen Pferdes. Beide Pferde waren auf demselben Hof untergestellt und wurden vom Stallbetreiber – wie an anderen Tagen auch – zusammen mit zwölf weiteren Pferden auf einen eingezäunten, unbeobachteten Sand- und Gras-Paddock gebracht. Als die Pferde am Abend in den Stall geholt wurden, lahmte die Stute der Klägerin und hatte am rechten hinteren Bein eine leicht blutende Wunde. Über Nacht traten starke Schwellungen auf. Eine daraufhin durchgeführte tierärztliche Untersuchung zeigte erhebliche Beinverletzungen. Die Klägerin verlangte Schadensersatz mit der Behauptung, ihre Stute sei kurz vor dem Zurückholen in den Stall von einem anderen Pferd getreten worden, weil die Herde auf dem Paddock in Unruhe geraten sei. Die Klägerin trägt vor, der Umstand, dass nicht feststehe, ob das Pferd der Beklagten ihre Stute getreten habe, könne nicht relevant sein.

Wie hat das Gericht seine Entscheidung begründet bzw. welche Feststellungen wurden im Einzelnen getroffen?

Aus den Gründen (Mitgeteilt mit Anmerkungen von Professor Dr. Johannes Wertenbruch, Marburg, abrufbar unter NJW 2018, 3439):

(9) Wird durch ein Tier eine Sache beschädigt, so ist nach § 833 S. 1 BGB derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, wobei eine Sachbeschädigung im Sinne dieser Vorschrift auch dann vorliegt, wenn – wie im Streitfall – ein (anderes) Tier verletzt wird (§ 90 a S. 2 BGB; vgl. ferner Senat, BGHZ 67, 129 = NJW 1976, 2130). Die Gefährdungshaftung nach § 833 S. 1 BGB setzt allerdings voraus, dass sich im Unfall eine „spezifische“ oder „typische“ Tiergefahr desjenigen Tieres verwirklicht hat, dessen Halter in Anspruch genommen werden soll (vgl. nur Senat, BGHZ 67, 129 = NJW 1976, 2130, 130 mwN; NJW-RR 1990, 789 = VersR 1990, 796 [797]; NJW 1982, 763 [764]). Dies ist dann der Fall, wenn ein der tierischen Natur entsprechendes unberechenbares und selbstständiges Verhalten des betreffenden Tieres für die Entstehung des Schadens adäquat ursächlich geworden ist, wobei Mitursächlichkeit – wie sonst auch – ausreicht (Senat, NJW 2015, 1824 Rn. 12, mwN).

(10) a) Das BerGer. vermochte bereits nicht festzustellen, dass überhaupt ein Verhalten des Pferdes der Bekl. für die Verletzungen der Stute der Kl. ursächlich war. Weder konnte es sich davon überzeugen, dass das Pferd der Bekl. die Stute der Kl. getreten und deren Verletzung damit unmittelbar herbeigeführt hat. Noch vermochte es die Gewissheit zu erlangen, dass die Stute der Kl. im Rahmen einer allgemeinen Unruhe, an der das Pferd der Bekl. in jedenfalls mitursächlicher Weise beteiligt war, zu Schaden kam, weshalb auch eine – im Rahmen von § 833 S. 1 BGB ausreichende […] – mittelbare Verursachung der Verletzung der Stute der Kl. durch das Pferd der Bekl. nicht feststeht.

(11) b) Über die fehlende Feststellung eines für die Verletzung der Stute der Kl. ursächlichen Verhaltens des Pferdes der Bekl. Hilft § 830 BGB nicht hinweg. Zwar ist die Vorschrift – was das BerGer. nicht verkannt hat – im Rahmen der Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB grundsätzlich anwendbar. Eine Anwendung der Vorschrift des 830 I 2 BGB scheitert im Streitfall aber daran, dass es sich bei der Bekl. nicht um eine Beteiligte im Sinne dieser Vorschrift handelt.

(12) aa) In der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift des § 830 I 2 BGB nicht auf die Verschuldenshaftung beschränkt ist, sondern auch die Gefährdungshaftung erfasst, insbesondere die Tierhalterhaftung nach § 833 S. 1 BGB […] Auch das Halten eines Tieres kann die den Schaden verursachende „Handlung“ iSv § 833 S. 1 BGB sein […].

(13) (Weitere) Tatbestandsvoraussetzung des § 830 I 2 BGB ist aber auch in diesem Fall, dass der in Anspruch Genommene „Beteiligter“ ist. Beteiligter ist dabei nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats nur derjenige, dessen Tatbeitrag zu einer rechtswidrigen Gefährdung der Schutzsphäre des Betroffenen geführt hat und zur Herbeiführung der Verletzung geeignet war […] Nur mit diesem Verständnis des Begriffs des Beteiligten ist gewährleistet, dass § 830 I 2 BGB – seinem Zweck entsprechend – nur Kausalitätszweifel, nicht aber auch Zweifel darüber überbrückt, ob einem auf Schadensersatz in Anspruch Genommenen überhaupt eine rechtswidrige Handlung zur Last fällt, ob (auch) er also unerlaubt und mit Verletzungseignung in die Schutzsphäre des Betroffenen eingegriffen hat […]. Ein solcher Eingriff in die Schutzsphäre des Betroffenen liegt auch im Fall der Gefährdungshaftung noch nicht allein in dem – abstrakt gefährlichen – Verhalten, an das der jeweilige Gefährdungstatbestand anknüpft, wie etwa dem Halten eines Tieres im Rahmen von § 833 BGB oder dem Halten eines Kraftfahrzeugs im Rahmen von § 7 StVG, mag der Betroffene auch im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit diesem Verhalten verletzt worden sein […] Erforderlich ist vielmehr eine darüber hinausgehende, konkrete Gefährdung des Betroffenen, die geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu […] Im Fall der Tierhalterhaftung nach § 833, 830 I 2 BGB ist Voraussetzung, dass sich in dem Verhalten aller als Schadensverursacher infrage kommenden Tiere eine spezifische Tiergefahr gezeigt hat und dass diese spezifische Tiergefahr im Hinblick auf den eingetretenen Schaden kausalitätsgeeignet war […] Dementsprechend hat der erkennende Senat im Urteil vom 15.12.1970 (BGHZ 55, 100) darauf abgestellt, dass sich alle dort als mögliche Schadensverursacher in Betracht kommenden Reitpferde (gemeinsam) in einer Weise bewegt hatten, die geeignet war, den eingetretenen Schaden in vollem Umfang zu verursachen […].

(14) bb) Nach diesen Grundsätzen war die Bekl. auf der Grundlage der Feststellungen des BerGer. nicht Beteiligter iSv § 830 I 2 BGB. Denn das BerGer. vermochte nicht auszuschließen, dass das Pferd der Bekl. während des verletzungsursächlichen Vorgangs unbeteiligt abseits stand. In diesem Fall hätte die Bekl. aber nicht unerlaubt und mit Verletzungseignung in die Schutzsphäre der Kl. eingegriffen. Dass die Hufe des Pferdes der Bekl. beschlagen waren und das Pferd der Bekl. zusammen mit der verletzten Stute der Kl. auf dem eingezäunten Paddock untergebracht war, ändert daran entgegen der Auffassung der Revision nichts.

Vgl. auch: JuS 2018, 1239 (mitgeteilt v. Prof. Dr. Martin Schwab), RÜ 2018, 554 (m. Anm. Claudia Haak)

MPS Pferderecht - ZUR HAFTUNG DES TIERHALTERS ALS BETEILIGTER BEI SCHÄDIGUNG DURCH MEHRERE PFERDE

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