Schlagwort-Archive: Tierhalterhaftung

Zur Frage der Bemessung von Schmerzensgeld

OLG Hamm, Urt. v. 05.03.2021 – 9 U 221/19, BeckRS 2021, 5414

Was macht die Entscheidung interessant? Das Urteil des OLG Hamm beinhaltet im Grunde nichts Neues, zeigt jedoch recht anschaulich, was Schmerzensgeld (z.B. als begehrter Anspruch nach einem Reitunfall) bedeutet und wie differenziert die Höhe im Einzelfall zu bemessen ist. Die Entscheidung kann also dazu dienen, zu Hause vorab einen Eindruck zu bekommen, wie hoch ein Schmerzensgeldanspruch im eigenen Fall ggf. sein könnte. Hier sind in der täglichen Kanzleipraxis doch zum Teil recht „ambitionierte“ Vorstellungen über die Höhe eines Anspruchs zu beobachten. Dies vor allem, weil in mutmaßlich einschlägigen Foren oder auf Internetseiten Entscheidungen gefunden werden, die „doch [vermeintlich] genau passen“.

Aus den Gründen: (Leseziffern 5 ff.) 2. Das Schmerzensgeld dient gem. § 253 BGB dem Ausgleich erlittener Schäden nicht vermögensrechtlicher Art. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung ausreichend eine angemessene Differenzierung in Bezug auf die stets maßgebenden Umstände des konkreten Einzelfalles zulässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach den §§ 253 Abs. 2 BGB, 287 ZPO begründen.

2.1 Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt nach gefestigter Rechtsprechung entscheidend von dem Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Lebensbeeinträchtigung des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten oder als künftige Schadensfolge erkennbar und objektiv vorhersehbar ist. Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Leiden sowie der verursachten Funktionsbeeinträchtigungen und verbleibender Entstellungen bestimmt. Im Sinne einer Objektivierung der Leiden wirken sich insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß eines eingetretenen Dauerschadens bei der Bemessung eines angemessenen Schmerzensgeldes aus (vgl. OLG Hamm v. 11.09.2020 – I-9 U 96/20 – juris Rn. 3 – NJW-Spezial 2020, 715; OLG Celle v. 04.11.2020 – 14 U 81/20 – juris Rn. 12 und v.19.02.2020 – 14 U 69/19 – juris Rn. 53f mwN).

2.2 Der Maßstab für die billige Entschädigung i.S.v. § 253 BGB muss unter Berücksichtigung ihrer Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion für jeden einzelnen Fall durch Würdigung und Wägung aller ihn prägenden Umstände neu gewonnen werden.

2.3 Bei der Bezifferung des im Einzelfall jeweils angemessenen Schmerzensgeldes kann die Vergleichsrechtsprechung anderer Gerichte als Orientierungshilfe im Sinne einer Wahrung der rechtlichen Gleichbehandlung für eine vergleichende Betrachtung dahingehend dienen, wie sich der ausgeurteilte Betrag in das Gesamtsystem der von den Gerichten entwickelten Schmerzensgeldjudikatur einfügt, ob also die Größenordnung dem Betragsrahmen entspricht, der in der überwiegenden Spruchpraxis für vergleichbare Verletzungsgrade zuerkannt wird (vgl. Senat v. 27.05.2015 – 9 W 68/14 – juris Rn. 12 und v. 11.01.2019 – I-9 U 81/18 – juris Rn. 19 – RuS 2019, 220; OLG Nürnberg v. 20.08.2020 – 13 U 1187/20 – juris; OLG München v. 29.07.2020 – 10 U 2287/20 – juris). Dabei verbietet es sich allerdings, die dort ausgewiesenen Beträge schon wegen der meist nur begrenzt vergleichbaren Verletzungsbilder, abweichender haftungsbegründender Umstände und anderer für die Bemessung des zuerkannten Gesamtbetrages maßgeblichen Umstände schematisch zu übernehmen. Maßgeblich sind und bleiben daher – wie eingangs dargestellt – stets die besonderen Umstände des Einzelfalls, denen das Gericht mit entsprechender Begründung die ihnen gebührende Bedeutung beimessen kann und muss.

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Zu den Ansprüchen auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld aus einem Reitunfall im Reitunterricht

LG Potsdam, Urt. v. 21.04.2021 – 14 O 2/20, BeckRS 2021, 38465

Was macht die Entscheidung interessant? Das Urteil des Landgerichts Potsdam beschäftigt sich mit dem Thema Haftung nach Reitunfall im Reitunterricht – einem sehr praxisrelevanten Thema. Hierbei wird aber nicht nur die wichtige Unterscheidung zwischen der in § 833 Satz 1 BGB normierten verschuldensunabhängigen Haftung des Halters eines sog. Luxustieres (also klassisch dem „privat genutzten Pferd“) und der verschuldensabhängigen Haftung bei einem zu Erwerbszwecken (also zum Geldverdienen) gehaltenen und genutzten Pferdes (also z.B. zu Therapie-, Reitschul- oder Zuchtzwecken) behandelt. Vielmehr hat sich das Gericht detailliert mit der Sorgfaltspflicht eines Reitlehrers beschäftigt und dabei eine Reihe von Kriterien herausgearbeitet, aus denen man einen praktikablen Prüfungsmaßstab herauslesen kann.

Feststellungen: (a) Wer Reitunterricht nimmt, verzichtet dabei nicht auf etwaige vertragliche oder gesetzliche Ersatzansprüche, die sich aus der Tiergefahr des Pferdes ergeben (z.B. §§ 253 Abs. 2, 280 Abs. 1 oder 833 Satz 1 BGB = Tierhalterhaftung). (b) Die Verletzung der vertraglichen Sorgfaltspflicht nach § 276 BGB kann sich bei einem Reitunfall aus der Art der (Reit-)Übung, aus dem Alter und der Erfahrenheit des Reitschülers sowie des Pferdes, aus den konkreten Umständen des Unfalls, aus Warnzeichen in der konkreten Situation, aus einem unsachgemäßen Eingriff des Reitlehrers oder unterlassenen Maßnahmen, insbesondere aus der Erkennbarkeit/Vorhersehbarkeit der Gefahr in Bezug auf die Art der konkret ausgeführten (Reit-)Übung, der Konstitution des Reitschülers sowie des Pferdes, der Gewöhnung des Pferdes an die Übung und seinen Ausbildungsstand sowie schließlich aus dem Zusammenwirken von Reiter und Pferd ergeben. (c) Durch § 833 Satz 2 BGB wird die Gefährdungshaftung des Tierhalters nach § 833 Satz 1 BGB in eine Haftung für vermutetes Verschulden abgemildert, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das der Erwerbstätigkeit des Tierhalters dient (z.B. als Reit- und Springpferd in einer Reitschule). Die Haftung für ein solches Nutztier entfällt aber nur, wenn der Halter seiner Aufsichtspflicht genügt hat, oder wenn der Schaden auch bei gehöriger Aufsichtsführung entstanden sein würde.

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Ausreiten mit Hund – Zum Mitverschulden einer Hundehalterin beim Scheuen eines Pferdes

OLG FRANKFURT AM MAIN vom 07.02.2018, Az.: 11 U 153/17

Was macht die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Thema Tierhalterhaftung lesenswert? Der Hinweisbeschluss betrifft einen Sachverhalt, wie wir ihn tagtäglich im Reiterleben beobachten. Reiter gehen mit ihren Pferden ins Gelände – und zwar in vierbeiniger Begleitung eines Hundes. Worüber sich viele aber wahrscheinlich noch keine Gedanken gemacht haben, ist die Frage, wer eigentlich wie haftet, wenn „doch mal nicht alles gut geht, und es zu einem Unfall“ kommt. Just mit dieser Konstellation hatte sich das OLG Frankfurt am Main zu beschäftigen.

Welche Feststellung hat das Gericht in seinem Hinweisbeschluss getroffen? Wird eine Gruppe erfahrener Reiter von dem Hund einer Reiterin begleitet, trifft die Hundehalterin keine Einstandspflicht aus Tierhalterhaftung gemäß § 833 S. 1 BGB, wenn das Pferd eines anderen Reiters beim Vorbeilaufen des sich unauffällig verhaltenden Hundes scheut, dann in einen Weidezaun läuft und wenn dieser Reiter dadurch den Halt verliert, abstürzt und sich dabei verletzt.

Wie hat das Gericht seinen Beschluss begründet bzw. welche Feststellungen wurden im Einzelnen getroffen?

Aus den Gründen (abrufbar unter OLG Frankfurt a.M. r+s 2018, 501):

Zum einen muss der Kl. sich ein erhebliches Mitverschulden nach § 254 BGB durch die Realisierung der eigenen Tiergefahr des von ihm gerittenen Pferdes anrechnen lassen. Der Grundsatz, dass die auf Seiten des Geschädigten mitwirkenden Sach- und Betriebsgefahr den Ersatzanspruch beschränkt, gilt auch im Bereich der Tierhalterhaftung (vgl. Wagner in: MüKo BGB, 7. Aufl., § 833 Rn. 72; OLG Rostock, Urt. v. 10. 12. 2010 – 5 U 57/10, NJW-RR 2011, 280; OLG Saarbrücken, Urt. v. 14. 7. 2005 – 8 U 283/04, NJW-RR 2006, 969). Unstreitig rannte vorliegend das Pferd nach dem Scheuen im Zusammenhang mit dem Vorbeilaufen des Hundes in einen Weidezaun und erschrak sich daraufhin erneut. Erst zu diesem Zeitpunkt verlor der Kl. den Halt. Dies hatte die Bekl. im Rahmen der Klageerwiderung vorgetragen, ohne dass der Kl. die Angaben nachfolgend bestritten hat. Sie stehen darüber hinaus auch in Übereinstimmung mit den Bekundungen der Zeugin A. Auf Basis dieser Angaben wiegt die Tiergefahr des Pferdes des Kl. mindestens gleich hoch wie die des Hundes der Bekl.

Zum anderen erlangt vorliegend der Umstand, dass der Kl. auf eigene Gefahr einen Ausritt in Kenntnis des freilaufenden Hundes der Bekl. vorgenommen hat, Bedeutung. Dabei kann offenbleiben, ob dieser Gesichtspunkt ebenfalls im Rahmen des Mitverschuldens nach § 254 BGB Bedeutung erlangt oder aber unter dem Gesichtspunkt eines Verhaltens gegen Treu und Glauben zum Ausschluss einer Haftung führt (vgl. hierzu näher BGH, ebenda). Ein Geschädigter handelt jedenfalls selbstwidersprüchlich, wenn er sich Risiken bewusst aussetzt, die über die normale Tiergefahr hinausgehen und er bei Verwirklichung der besonderen Gefahr den Halter aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung auf Schadensersatz in Anspruch nimmt (BGH ebenda). Soweit das Bewusstsein einer besonderen Gefährdung Voraussetzung ist (BGH ebenda), liegt dieses auch nach dem eigenen Vortrag des Kl. vor. Der Kl. wusste, dass der freilaufende Hund die Reitergruppe begleitete; er betont selbst, dass der Hund jedenfalls hätte angeleint sein müssen. Dass dies – aus seiner Sicht gefahrerhöhend – nicht der Fall war, war ihm bekannt.

Nach der nach höchstrichterlicher Rspr. in derartigen Konstellationen erforderlichen Interessenabwägung ist vorliegend von einem vollständigen Haftungsausschluss auszugehen. Sowohl der Kl. als auch die Bekl. handelten beim Ausritt im eigenen Interesse; sie nahmen in ihrer Freizeit an einem Vereinsausritt teil. Der Kl. schreibt selbst, dass eine Gefährdung durch den freilaufenden Hund äußerst fernlag. Dies lag zum einen daran, dass sein Pferd hundeerfahren war. Zum anderen verhielt sich der Hund nicht auffällig, sondern lief – auch nach dem klägerischen Vortrag – vollständig unauffällig mit der Reitergruppe bzw. in ihrer Nähe. Soweit der Kl. im Rahmen der Berufungsbegründung ausführt, er habe „nicht damit rechnen müssen, dass der Hund sich so verhält, dass er sein Pferd erschreckt“, liegt das „so verhalten“ des Hundes allein im Vorbeilaufen am klägerischen Pferd mit einem Abstand von 2 m. Dieses Verhalten war bereits bei Antritt des Auftrittes vorhersehbar und für einen freilaufenden Hund typisch. Darüber hinausgehende erhöhte gefahrträchtige Verhaltensweisen des Hundes ergeben sich auch aus der Berufungsbegründung nicht.

Berücksichtigt man darüber hinaus das mindestens mit 50 % zu bewertende Mitverschulden der eigenen Tiergefahr, die sich durch das Erschrecken des Pferdes nach dem Zusammenstoß mit dem Zaun realisierte, erscheint es angemessen, dass der Verursachungsbeitrag der Bekl. als Halterin des Hundes vollständig zurücktritt (vergleichbar auch OLG Saarbrücken, Urt. v. 14. 7. 2005 – 8 U 283/04, NJW-RR 2006, 969).

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Zur Anrechnung der Tiergefahr des eigenen Hundes bei Biss eines fremden Hundes

OLG KARLSRUHE vom 18.09.2019, Az. 7 U 24/19

Was macht die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Thema Haftung lesenswert? Die Entscheidung verdient Beachtung, weil sie zutreffend und rechtlich sauber herausstellt, dass es für die Anrechnung eines quotalen Mitverschuldens des Halters des verletzten Tieres – dies erst recht nicht für ein pauschales 50:50 – genügt, dass sein Tier „irgendwie da war“. Vielmehr muss es ein mitursächliches Verhalten des verletzten Tieres gegeben haben. Auch wenn es sich in der Entscheidung um einen Hund gehandelt hat, lassen sich die Grundsätze auf Pferde übertragen!

Feststellungen: (a) Der Grund für die strenge Tierhalterhaftung des § 833 S. 1 BGB liegt in dem unberechenbaren oder aber auch instinktgemäßen selbsttätigen tierischen Verhalten und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter, also der verwirklichten Tiergefahr. Diese setzt grundsätzlich ein über die bloße physische Anwesenheit hinausgehendes Verhalten des Tieres voraus.  (b) Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tieres des Geschädigten mitursächlich (in konkreten Fall eines Hundes), so muss sich der Geschädigte dies entsprechend §§ 254 Abs. 1, 833 S. 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 S. 1 BGB anrechnen lassen. Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen.

Aus den Gründen (mit Angabe der Leseziffern): (12 ff.) Der Grund für die strenge Tierhalterhaftung des § 833 S. 1 BGB liegt in dem unberechenbaren oder aber auch instinktgemäßen selbsttätigen tierischen Verhalten und der dadurch hervorgerufenen Gefährdung von Leben, Gesundheit und Eigentum Dritter, also der verwirklichten Tiergefahr. Diese setzt grundsätzlich ein über die bloße physische Anwesenheit hinausgehendes Verhalten des Tieres voraus.  Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend §§ 254 Abs. 1, 833 S. 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 S. 1 BGB anrechnen lassen. Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen. (17) Ist für die Entstehung eines Schadens auch die Tiergefahr des eigenen Tieres des Geschädigten mitursächlich, so muss sich der Geschädigte dies entsprechend §§ 254 Abs. 1, 833 S. 1 BGB mindernd auf seinen Anspruch aus § 833 S. 1 BGB anrechnen lassen. Voraussetzung ist, dass die typische Tiergefahr des Tieres des Geschädigten bei der Schadensentstehung adäquat mitursächlich geworden ist. An der Verwirklichung der Tiergefahr fehlt es insbesondere dann, wenn keinerlei eigene Energie des Tieres an dem Geschehen beteiligt ist. Demgegenüber können bereits von einem Tier ausgehende und auf ein anderes Tier einwirkende Reize eine für einen Schaden mitursächliche Tiergefahr darstellen (BGH, Urteil vom 31.05.2016, VI ZR 465/15, bei juris Rn. 9).

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Zur Tierhalterhaftung des Pferdebesitzers und zum Mitverschulden eines Bereiters

OLG SCHLESWIG vom 12.06.2015, Az. 17 U 103/14

Was macht die Entscheidung im Zusammenhang mit dem Thema Haftung und Beritt lesenswert? Die Entscheidung verdeutlicht, warum mit der Übernahme des Beritts eines Pferdes nicht per se über die Grundsätze des Handels auf eigene Gefahr eine Haftung des Halters des Pferdes aus § 833 BGB ausgeschlossen ist. Auch liefert die Entscheidung eine anschauliche Darstellung dazu, wann ein Bereiter als Tieraufseher bzw. Tierhüter i.S.d. § 834 BGB anzusehen ist.

Welche Feststellungen hat das Gericht getroffen? (a) Wer als selbstständiger Bereiter „Problempferde“ bereitet und hierbei einen Unfall erleidet, kann den Pferdehalter grundsätzlich auch dann aus Tierhalterhaftung nach § 833 BGB in Anspruch nehmen, wenn bei besonders problematischem Verhalten des Pferdes der Tierhalter ihm konkret das weitere Bereiten anheimgestellt hat. Denn allein hierdurch wird der Bereiter nicht aus dem Vertragsverhältnis zum Pferdehalter entlassen und handelt daher auch nicht „auf eigene Gefahr“. (b) Reitet der Bereiter in einer derartigen Situation dennoch und wird er vom Pferd abgeworfen, kann allerdings sein Schadensersatzanspruch in Anwendung des § 254 BGB (im konkreten Fall auf 50 %, da der Bereiter das Pferd am Unfalltag beritten hatte, obwohl dieses an diesem Tag erkennbar widerwillig war und der Bereiter von der Besitzerin explizit auf diesen Umstand hingewiesen worden war) zu kürzen sein.

Was war geschehen bzw. welcher Sachverhalt lag dem Urteil zugrunde? Im Fall des OLG Schleswig war der Kläger der private Krankenversicherer eines als selbstständiger Bereiter und Reitlehrer tätigen Pferdefachwirtes. Dieser hatte mit der Beklagten Halterin des Pferdes einen Vertrag geschlossen, nach dem er das Pferd „S“ ausbilden und ihm vorhandene Unarten wie Schlagen, Buckeln und Steigen abgewöhnen sollte. Nachdem der Bereiter das Pferd bereits vier Monate ausgebildet und mit diesem auch an Turnieren teilgenommen hatte, sollte am Tag des Unfalls, eine weitere Unterrichtseinheit erfolgen. Die Beklagte longierte das Pferd vor dem Bereiten, wobei für diese und den Bereiter erkennbar war, dass das Pferd an diesem Tag wiederum bockte und stieg. Die Beklage bot dem Bereiter darauf an, das Pferd an diesem Tag nicht zu reiten oder es zunächst weiter zu longieren. Der Bereiter erklärte gegenüber der Beklagten jedoch, er müsse die Konfrontation mit dem Pferd eingehen, um den bisherigen Ausbildungserfolg nicht zu gefährden. Als der Bereiter das Pferd im Anschluss ritt, schlug es aus, buckelte und stieg über einen Zeitraum von etwa 10 Minuten hinweg, bis es zum Abwurf kam. Der Bereiter schlug mit dem Kopf auf dem Hallenboden auf und zog sich Frakturen im HWS-Bereich zu, wodurch Heilbehandlungskosten i.H.v. EUR 76.521,84 entstanden sind.

Wie hat das Gericht seine Entscheidung begründet bzw. welche Feststellungen wurden im Einzelnen getroffen?

Aus den Gründen (abrufbar im Volltext unter r+s 2016, 98) mit Angabe der Leseziffern:

(16) 1. Die Bekl. hat für den Schaden in Form der entstandenen und künftig noch entstehenden Schäden aus dem Gesichtspunkt der Tierhalterhaftung gem. § 833 BGB einzustehen. Dieser Anspruch ist gem. § 86 VVG auf die Kl. übergegangen. Die in § 833 BGB begründete Gefährdungshaftung des Tierhalters findet ihren Grund in dem unberechenbaren und selbstständigen Verhalten eines Tieres und der dadurch hervorgerufenen besonderen Gefährdung (BGH r+s 2014, 304 juris Rn. 5; BGH r+s 2006, 301, juris Rn. 7 mwN). Das plötzliche Buckeln und Hochgehen war ein solches, auf die unberechenbare Natur des Tieres zurückzuführendes, selbstständiges Verhalten des Pferdes S.

(17) a) Die Haftung der Bekl. ist auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr ausgeschlossen. Der VN hat sich zwar in Kenntnis der Unarten des Pferdes und des Umstandes, dass das Pferd am 30. 1. 2012 erkennbar unwillig und die Gefahr eines Abwurfs nicht fernliegend war, dazu entschlossen das Pferd zu bereiten. Dennoch kommt ein Haftungsausschluss unter dem Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr nicht in Betracht.

(18) Grundlage eines solchen Haftungsausschlusses ist der Grundsatz von Treu und Glauben und das sich hieraus ergebende Verbot widersprüchlichen Verhaltens (BGH r+s 2006, 301. Nach der Rspr. des BGH wird im Rahmen der Tierhalterhaftung eine vollständige Haftungsfreistellung des Tierhalters allerdings nur in eng begrenzten Ausnahmefällen anerkannt. Der Umstand, dass sich ein Geschädigter der Gefahr eines Tieres selbst ausgesetzt hat, ist regelmäßig erst bei der Abwägung der Verursachungsbeiträge nach § 254 BGB zu berücksichtigen (BGH r+s 2014, 304 juris Rn. 7; BGH r+s 2009, 295; BGH r+s 2006, 301. Bei Personen, die sich – wie hier der VN – aus beruflichen Gründen der Tiergefahr aussetzen, ist ein vollständiger Haftungsausschluss sowohl in Hinblick auf den Gesichtspunkt des Handelns auf eigene Gefahr als auch unter Schutzzweckerwägungen abzulehnen (BGH r+s 2014, 304, juris Rn. 9). Von einem Handeln auf eigene Gefahr im Rechtssinne kann nur dann die Rede sein, wenn sich jemand in eine Situation drohender Eigengefährdung begibt, obwohl er die besonderen Umstände kennt, die für ihn eine konkrete Gefahrenlage begründen, ohne dass dafür ein triftiger – rechtlicher, beruflicher oder sittlicher – Grund vorliegt (BGH r+s 2009, 395, juris Rn. 9). Realisiert sich das mit der Berufsausübung eines Geschädigten notwendigerweise verbundene Risiko, so erweist sich eine Inanspruchnahme des Tierhalters nicht als widersprüchlich.

(18) So liegt es hier. Der VN wurde als Reitlehrer und Bereiter damit beauftragt das Pferd zuzureiten. Aufgrund seiner vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Bekl. bestand ein triftiger Grund das Pferd an dem Unfalltag zu bereiten und sich hierzu in den Gefahrenkreis des Tieres zu begeben. Der VN handelte somit nicht auf eigene Gefahr, sondern in Erfüllung seiner, der Tierhalterin gegenüber eingegangen vertraglichen Verpflichtung.

(20) Dass die Bekl. dem VN im vorliegenden Fall angeboten hatte, die Unterrichtsstunde auf einen anderen Tag zu verlegen, ändert hieran nichts. Hierdurch wurde der VN nicht aus seinem Vertragsverhältnis entlassen oder der Vertragszweck als solcher verändert. Der VN sah sich in dieser Situation – aus seiner Sicht – mit der Entscheidung konfrontiert, seine vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Bekl. zu erfüllen und seine Gesundheit einem aufgrund des damaligen Verhaltens des Pferdes erhöhten Risiko auszusetzen oder durch Abstandnahme von einem Beritt den Vertragszweck zu gefährden. Nachdem sich der VN in dieser Situation für die Erfüllung seiner Vertragspflichten entschieden hat, ist es nicht als treuwidrig anzusehen, wenn nunmehr die Kl. aus übergegangenem Recht gegen die Bekl. Ansprüche wegen der Folgen des Abwurfs geltend macht. Wenn sich die Bekl. ihrer Tierhalterhaftung in der damaligen Situation hätte entziehen wollen, hätte sie den VN anweisen müssen, das Pferd nicht zu bereiten, so dass der Inhalt des Vertragsverhältnisses verändert worden wäre. Den Zuritt des Tieres an diesem Tag in das fachmännische Ermessen des VN zu stellen, war hierfür nicht ausreichend.

(21) b) Der grundsätzlichen Tierhalterhaftung der Bekl. steht auch nicht entgegen, dass der VN das Pferd zum Unfallzeitpunkt selbst geritten hat noch, dass er von der Bekl. damit beauftragt wurde, das Pferd zu bereiten. Der VN könnte damit zwar als Tieraufseher iSv. § 834 BGB anzusehen sein (vgl. unter II. 2 b). Die Haftung des Tierhalters nach § 833 BGB greift grundsätzlich aber auch dann ein, wenn der Tieraufseher im Rahmen seiner Aufsichtsführung durch das betreute Tier verletzt wird (BGH r+s 2014, 304, juris Rn. 6).

(22) c) Die Haftung der Bekl. war auch nicht durch einen stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses abbedungen. Abgesehen von der erkennbaren Gefahrträchtigkeit der übernommenen Tätigkeit gab es keine weiteren Anhaltspunkte, die Rückschlüsse auf einen entspr. Willen der Parteien zulassen würden. Die bloße Gefahrträchtigkeit der Tätigkeit genügt aber nicht für die Annahme eines stillschweigend vereinbarten Haftungsausschlusses. Darüber hinaus entspricht es auch nicht der Interessenlage der Parteien, dass derjenige, der sich im Interesse seines Auftraggebers der mit seinem Beruf notwendig einhergehenden Tiergefahr aussetzt, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, den Tierhalter vollständig von dessen gesetzlicher Haftung entbindet. Dies gilt insbes. unter Berücksichtigung, dass hinter der Bekl. eine Versicherung steht. Ein Haftungsverzicht, der lediglich den Versicherer entlasten würde, entspricht idR nicht dem Willen der Parteien und ihrem wohlverstandenen Interesse (BGH r+s 1992, 373, juris Rn. 14).

(23) 2. Die Tierhalterhaftung der Bekl. aus § 833 BGB ist allerdings in Anwendung des § 254 BGB einzuschränken, weil den VN der Kl. bei der Entstehung des Schadens ein eigener Verursachungsbeitrag traf, der mit 50 % zu bewerten ist.

(24) a) Ein Mitverschulden des VN ist allerdings nicht bereits darin zu sehen, dass er die Aufgabe des Zureitens und damit eine besonders gefahrgeneigte Tätigkeit übernommen hat.

(25) Im Rahmen von § 254 BGB kann lediglich vorwerfbares bzw. unsachgemäßes Verhalten anspruchsmindernd in Ansatz gebracht werden (vgl. auch BGH r+s 1992, 373; BGH r+s 2009, 395, juris Rn. 15). Ein Verhalten ist dabei nur dann als vorwerfbar anzusehen, wenn sich ein Arbeitnehmer aus freier Willensentschließung in eine Gefahrenlage begeben hat, diese Gefahrenlage aber ebenso hätte meiden können (OLG Hamburg, VersR 1965, 1009; vgl. auch OLG Naumburg, VersR 2008, 704).

(26) Mit der Übernahme einer bestimmten Tätigkeit geht das Risiko einher, bestimmte Verletzungen zu erleiden. Hierfür hat der Auftraggeber idR nur einzustehen, wenn ihn seinerseits ein Verschulden trifft, so dass es interessengerecht ist, dem Auftragnehmer nicht gleichzeitig die Gefahrträchtigkeit der von ihm übernommenen Handlung entgegenzuhalten. Sofern der Auftraggeber – wie hier die Bekl. – ein Tierhalter ist, trifft diesen zwar unabhängig von eigenem Fehlverhalten eine Einstandspflicht für etwaige Schäden, die der vom ihm Beauftragte im Zusammenhang mit der Arbeit an bzw. mit dem Tier erleidet. Aus dem Gesetz lassen sich aber keine Anhaltspunkte ableiten, in diesem Fall ausnahmsweise das Berufsrisiko des Auftragnehmers im Rahmen eines etwaigen Mitverschuldens zu berücksichtigen. Allein der Umstand, dass der Auftraggeber einer verschärften Haftung unterliegt, kann nicht dazu führen, das mit der Übernahme einer Tätigkeit verbundene Risiko der eigenen Verletzung anders zu bewerten und hierin bereits ein Mitverschulden zu sehen.

(27) b) Auch die Berücksichtigung eines Mitverschuldens des VN als Tierhüter an dem Abwurf selbst kommt nicht in Betracht. Grundsätzlich gilt allerdings, dass ein Tieraufseher, der sich wegen der eigenen Schädigung an den Tierhalter hält, im Rahmen des Mitverschuldens auch die Vermutung des eigenen Verschuldens nach § 834 Satz 1 BGB gegen sich gelten lassen muss (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 833 Rn. 21).

(28) Tierhüter ist derjenige, der durch Vertrag jedenfalls als Nebenpflicht die Führung der Aufsicht über das Tier für den Tierhalter und damit die Sorge übernommen hat, dass kein Dritter durch das Tier geschädigt wird (Wagner in MüKo/BGB, 6. Aufl., § 834 Rn. 3; Palandt/Sprau, aaO, § 834 Rn. 2). Bei Zugrundelegung einer eher formalen räumlichen Betrachtungsweise liegt es nahe, den VN nicht als Tierhüter anzusehen. Denn die Bekl. als Tierhalterin war unstreitig während der gesamten Unterrichtsstunde anwesend, so dass sich das Pferd damit noch in ihrem räumlichen Einflussbereich befand. Legt man hingegen eine eher funktionale Betrachtungsweise zugrunde, erscheint es näherliegend, den VN trotz der Anwesenheit der Bekl. als Tierhüter anzusehen. Denn zum Zeitpunkt des Abwurfs hatte der VN die alleinige Einflussmöglichkeit auf das Pferd und aufgrund seines überlegenen Wissens in Bezug auf Pferde hätte für die Bekl. auch kein Anlass bestanden, dem VN bei Problemen zu Hilfe zu kommen. Vielmehr hatte sie ihn gerade wegen ihrer Probleme mit dem Pferd beauftragt, diesem die Unarten abzugewöhnen.

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